„Möchte, dass meine Geschichte nicht vergessen wird“

Ilse Egger von Mailand über Österreich nach Südtirol: Gerade mal ein Jahr alt war Ilse Egger, spätere Wwe. Messner, Wwe. Neukirch, als sie 1939 gemeinsam mit ihren Eltern, die in Mailand arbeiteten, auswanderte. Sie spricht im Gegensatz zu vielen anderen gern über die Ereignisse: „Ich möchte, dass meine Geschichte nicht in Vergessenheit gerät“, erzählt sie. Ihre Mutter Marcellina stammte aus dem Bellunesischen, war in Hall in Tirol aufgewachsen, ihr Vater Hans Egger aus dem Ultental. Der Vater arbeitete in Mailand als Buchhalter, die Mutter als Sekretärin. Die Familie entschied sich nach Österreich auszuwandern, da sie da viele Freunde hatte. Erste Station war Innsbruck, wo sie in der Wohnung einer Freundin der Mutter unterkommen konnten. „Ich weiß noch, wie die Kisten über die Stiegen hinaufgeschleppt wurden“, und auch die Unsicherheit spürte sie: „Nachts musste immer das Licht brennen und ich die Stimmen der anderen draußen hören, sonst hatte ich Angst.“

Einmal dem Kugelhagel entkommen: Die Zeit in Baden bei Wien

In Tirol kam auch ihr erster Bruder zur Welt, bevor die vier dann nach Baden bei Wien übersiedelten. Dort erging es ihnen relativ gut: Der Vater bekam Arbeit in der Persil-Fabrik, sie wohnten in einer schönen Wohnung und bekamen öfters Lebensmittel aus dem benachbarten Magazin des Militärs geschenkt. Der zweite Bruder wurde geboren. Es dauerte, bis dieser sprechen und gehen konnte, die harte Zeit machte sich bemerkbar. Klein Ilse ging zur Schule, bis im Jahr 1944 wegen des Krieges der Schulbetrieb in ganz Österreich eingestellt wurde. Baden blieb als Lazarettstadt zudem lange von Bombardierungen verschont. Das dumpfe Dröhnen der Tiefflieger am Himmel hat die heute 81-Jährige trotzdem immer noch im Ohr: Einmal wurden sie und ihre Geschwister im Hof beim Spielen von einem dieser Flieger beschossen.

Flucht und Ankunft in Innsbruck

Am 2. April 1945 floh die Familie schließlich im Lastauto vor den Russen aus der Stadt. Sie durften aus dem Magazin noch mitnehmen, so viel sie tragen konnten. Die schöne neue Puppe Susi, die sie tags zuvor zum Geburtstag bekommen hatte, musste zurückbleiben. Das Magazin fiel schließlich später dem Bombenhagel zum Opfer und alles, was sie im Keller des Hauses gebunkert hatten, wurde geplündert. Ihrem Vater war es im Krieg gut ergangen, er war auf Rhodos als Dolmetscher stationiert, da er einerseits zu alt für die Front war und seine Sprachkenntnisse ihm zugute kamen.
Ilse, die Mutter und ihre zwei Brüder kamen in Waldhausen unter, nahe Mauthausen. Von den dortigen Geschehnissen hörte sie munkeln, aber nichts Genaues. „Es gab einen Priester, Pater Lenz, der dort Zugang hatte und die Menschen dort fotografierte“, berichtet Egger. In Waldhausen schliefen sie alle in einem Zimmer, ein Bruder sollte in einem Bett im Eck schlafen, das wollte er aber nicht. Zu seinem Glück – eines Nachts stürzte genau dort der Oberboden ein.

Von der zweiten Klasse Volksschule an wohnte die Familie wieder in Innsbruck, der Vater kehrte zurück. Trotzdem war es keine leichte Zeit, „da die Optanten nicht gern gesehen waren“, erzählt Egger. „Es war genau das gleiche Thema wie heute mit den Migranten: Sie sagten, wir nehmen ihnen die Arbeit und die Wohnungen weg.“

Sie lebten in einem einzigen Raum ohne Wasser, ohne Küche mit Stocktoilette. Dank der Caritas erhielt Ilse ein Stipendium für einen von nur fünf Plätzen an der Klosterschule Riederberg in Bregenz. Eine schöne Zeit für die gute und wissbegierige Schülerin begann, sie lernte unter anderem Französisch und Englisch. Weil sie das Klima nicht vertrug, musste sie aber nach Innsbruck zurück.

1950 endgültige Rückkehr nach Südtirol: auch hier nicht wirklich willkommen

Bis die Familie schließlich 1950 nach Bozen rücksiedelte, zum Leidwesen des 12-jährigen Mädchens, das gern in Innsbruck geblieben wäre. Der Vater bekam eine Stelle beim Landwirtschaftlichen Hauptverband und eine Unterkunft im Hotel Stiegl, wo allerdings Frau und Kinder nicht bleiben durften. Wieder kam die Caritas zu Hilfe und bot der Mutter mit den Kindern ein Dach über dem Kopf, wenn auch ein sehr einfaches. Die Rücksiedler waren auch in Südtirol nicht willkommen. „Zudem sprach ich auch noch Innsbruckerisch“, erinnert sie sich an die erneut schwierige Situation. Ilse kam nach Meran zu den Englischen Fräuleins und besuchte die Lehrerbildungsanstalt. Später arbeitet Ilse als Lehrerin, wurde mehrfache Mutter, Großmutter und Urgroßmutter. Sie lebt heute gesund und rüstig in Steinmannwald.

Text: Christiane Weinhold
Foto: Ilse Egger mit Familie, privat